Schlagwort-Archive: wiedervereinigung

Was ich lese.

Julia Schoch – Das Liebespaar des Jahrhunderts

Hier geht es nicht um eine Liebesgeschichte, hier geht es um eine Leidensgeschichte.

Was schreibt man über ein Buch, dessen Protagonistin man schwach und unsympathisch findet?

Oder hält uns Julia Schoch etwa den Spiegel vor?

Lesen. Weil man danach weiß, wer man ist bzw. wie man nicht ist und niemals enden will, auch – und gerade – nicht im Namen der Liebe.

– Ein Buch, das zeigt wie krank, schwach und einsam die menschliche Natur ist und wie sich Individuen an Gewohnheiten und vermeintliche Nähe klammern.

– Ein Buch, das Feigheit, Unehrlichkeit und das große Schweigen beschreibt und eigentlich keine Hoffnung auf anderes zulässt. Ein Buch über die Menschlichkeit.

Deshalb lesenswert, auch wenn es einem dabei den Magen umdreht.

Ich hoffe, die Gen Z und aufwärts kann mit Besserem und Interessanterem dienen, trotz dieser Elterngeneration.

Zu Julia Schochs Büchern:

Julia Schoch und ich werden keine Freunde. Das steht fest. Zu schwach und passiv ihre Charaktere, zu unsympathisch, zu ordinär.

Ich kann die Preise, die an diese Autorin gingen, dennoch nachvollziehen, denn es ist eine Kunst, sich – aus meiner Sicht – menschlicher Protagonisten zu bedienen, die einem (mir jedenfalls) widerstreben, über die man aber dennoch nachdenken sollte unvermeindlicherweise nachdenken muss. Genauso sehe ich es auch was die Sprache angeht: nichts Besonderes. Aber dennoch: unumgänglich.

„Die Kunst führt ihr eigenes Leben, jahreszeitenunabhängig.“ 

Was bei mir hängengeblieben ist: 

  • Eine Liebesgeschichte, die keine ist (egal, was die Medien erzählen). Die Protagonistin hat sich entschieden „an ihm zu Kleben“ und hat – auch nach jahrelangen Demütigungen – nie davon abgelassen.
  • Die Frage, ob Menschen aus Gewohnheit oder aus Zuneigung Beziehungen weiterführen, und nebenher noch ein Leben?
  • Was möchten Frauen mit ihrer Opferbereitschaft zeigen? Was stimmt nicht mit uns? Sind wir alle so? 
  • Gehört Liebe überhaupt zu Beziehungen oder ist „Liebe“ separat zu betrachten?
  • Beziehungen sind eine Art stille Abmachung, Verpflichtung, Gefangenschaft, Anhänglichkeit aus die es schwer ist, sich zu befreien – wenn man ein schwacher Mensch ist. Oder ist es ein Beweis der Stärke, wenn man bereit ist, zu leiden?
  • Hinnehmen. Alles. Das Kommen und Gehen, und nicht Fragen. Weil man weiß, dass die Wahrheit unerträglich ist und Konsequenzen nach sich ziehen müsste. Weil man weiß, dass der Schmerz des Schweigens tausendmal erträglicher ist als die schmerzende Wahrheit.
  • Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass viele Frauen sich mit der Protagonistin identifizieren können. Man atmet auf und denkt: „Nein, so bin ich nicht! Die Arme. Und: Er ist ein Arschloch.“

„Ist es mehr ein Verlust oder eine Befreiung wenn man nur noch von der Vergangenheit zusammengehalten wird?“

„Die Literatur beginnt immer dann wenn etwas zu Ende gegangen ist.“ Und das ist ein schöner Satz, wie auch die Ausführungen von Julia Schoch, wenn es ums Aufschreiben geht. Ich kann auch erst etwas aufschreiben, wenn ich damit abgeschlossen habe. Alles andere ist zu besonders, zu wertvoll, noch zu lebendig, um es in Sprache zu verwandeln und aus dem Inneren, im „Außen“ weiterleben zu lassen.

 

Merry Christmas and a happy 2023!

 

𝘐 𝘸𝘰𝘶𝘭𝘥 𝘭𝘪𝘬𝘦 𝘵𝘰 𝘵𝘩𝘢𝘯𝘬 𝘮𝘺 𝘤𝘭𝘪𝘦𝘯𝘵𝘴 𝘧𝘰𝘳 𝘤𝘩𝘰𝘰𝘴𝘪𝘯𝘨 𝘮𝘦 𝘢𝘨𝘢𝘪𝘯 𝘢𝘯𝘥 𝘢𝘨𝘢𝘪𝘯, 𝘧𝘰𝘳 𝘪𝘮𝘱𝘭𝘦𝘮𝘦𝘯𝘵𝘪𝘯𝘨 𝘮𝘺 𝘱𝘳𝘰𝘱𝘰𝘴𝘢𝘭𝘴,

𝘢𝘯𝘥 𝘦𝘴𝘱𝘦𝘤𝘪𝘢𝘭𝘭𝘺 𝘧𝘰𝘳 𝘣𝘭𝘪𝘯𝘥𝘭𝘺 𝘵𝘳𝘶𝘴𝘵𝘪𝘯𝘨 𝘮𝘦 𝘸𝘩𝘦𝘯 𝘵𝘩𝘪𝘯𝘨𝘴 𝘩𝘢𝘷𝘦 𝘵𝘰 𝘮𝘰𝘷𝘦 𝘧𝘢𝘴𝘵.

𝘔𝘦𝘳𝘳𝘺 𝘊𝘩𝘳𝘪𝘴𝘵𝘮𝘢𝘴 𝘢𝘯𝘥 𝘢 𝘩𝘢𝘱𝘱𝘺 2023!

 

 

SUBTITLING – Dos and Don’ts

Errors to avoid when it comes to Subtitling

Hello Language Lovers,

Lately I am subtitling quite a lot and what mostly confuses me is the question whether or not to add the punctuation — especially commas — at the end of each video-image.

Instinctively, I think commas are not necessary, as we make a “reading break” anyway at the end of each image.

Are commas in subtitling redundant, or not?

What is your opinion about that?


Ps. Whilst I was wondering “how to do it the right way” I came across a post of @clearwordstranslations.global (http://clearwordstranslations.com/language/fr/7-major-subtitling-errors/)  listing main errors to avoid when subtitling.
I think the article recaps very well the crucial points. Thanks to my colleagues of Clear Words Translations.

My Reading List for Christmas 2022

Just finished, current reads and what’s next:

My Reading List for Christmas 2022

Hello Language Lovers,

Professionally, I was a bit absent, but I assure you that in between all the aperitifs and weekends, I worked like a busy bee on a diverse range of projects, covering everything from fashion to legal to tourism in Switzerland, and now also audiovisual lifestyle projects.

Basically, I didn’t have a minute of spare time and craved sleeping constantly.

Of course, I never stopped reading because it is my habit and possibly my most pleasurable drug, or my elixir for survival on this planet with now 8 billion people (and I only like a bunch of them).

I just finished the 600-something page book „Anéantir“ from one of my top European authors and intellectuals, Michel Houellebecq.

unnamed (12)

If you haven’t read „A Houellebecq“ yet, I urge you to do so, but don’t start with his last book, Anéantir. On one side, it’s typical, but on the other, it’s too soft for what we are used to reading. Also, maybe it’s his most politically correct book, for so many reasons:

  • Does he make peace with Christendom?
  • Does he have cancer (because he smoked himself to death) and is he prepared to die?
  • What’s all about this suicide theme? That is quite new.
  • And how come he has regular sex with his regular partner (and seems to also like it)?

Of course, elderly women are discarded from his worldview. Every man has a second woman who is younger and more dedicated to him. This is quite boring, but is this what men really want and dream about? We should face that.

Then there’s politics, which is also tedious and only interesting from an observation standpoint. Maybe he just wants to put a mirror in front of us.

And there is death, death everywhere: sick people, normal people preparing to die, and the thought of suicide as a way out of problems.

If I didn’t love and admire him like a groupie, I’d say I’m glad he wrote a different (but similar) book, that his style and lexical choices – especially the adjectives – demonstrate such a sublime command of the French language in a way that touched me in this book as well.

He is a one-of-a-kind writer and avant-gardist, one of the last living intellectuals in Europe, but is he preparing to die? If yes, I would really like to meet him. If you’re reading this, Houellebecq, let’s get drunk together!

I have compiled a list of books that will keep me well occupied until Christmas and maybe into 2023. Feel free to get inspired.

Have a good time until we next speak in 2023!

unnamed (14)unnamed (2)

unnamed (3)unnamed (4)

unnamed (5)unnamed (6)unnamed (7)unnamed

„Vom Aufstehen“ (in der unendlichen, eisigen Welt) – Helga Schubert

Das beste deutschsprachige Buch, das ich seit vielen Jahren gelesen habe.

Es gibt sehr viele Autoren, die sich mit der deutsch-deutschen Geschichte beschäftigen und dementsprechend eine Flut an einschlägigen Büchern – aber es gibt keinen Schriftsteller, der es bisher geschafft hat, eine Geschichte zu erzählen, sodass die Geschichte eines zweigeteilten Landes zu einer Art Bühnenbild wird. Dieser Aufbau ist genial.

Helga Schubert erzählt ihre Lebensgeschichte, und sie hat viel zu sagen. Ihre Formulierungen sind verständlich, schlicht, klassisch-edel. Die Sprache dient als Transportmittel von Inhalt (Form follows Function), als wirkendes Konstrukt.

Ich konnte das Buch nicht weglegen. Ein wahrer Schatz der deutschsprachigen Literatur, und genau deshalb wurde es 2021 mit dem Bachmann-Preis gewürdigt.

Ein Buch einer 80-jährigen Frau, in Einzelepisoden erzählt. Eine persönliche aber gleichzeitig deutsch-deutsche Geschichte. Die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau, Psychologin, Widerstandskämpferin und begnadeten Erzählkünstlerin.

Vor 40 Jahren war Helga Schubert bereits für den Bachmann-Preis nominiert, aber sie „durfte“ damals nicht aus der DDR ausreisen. Sie war für viele weitere Preise nominiert, durfte/konnte sie aber als DDR-Schriftstellerin nicht annehmen. Sie schrieb weiter, und ich freue mich bereits auf das im September herauskommende neue Buch („Lauter Leben“) von ihr, denn am liebsten möchte ich nicht aufhören, Helga Schubert zu lesen.

Warum ist “Vom Aufstehen” ein MUST-READ?

  • Weil es einen hoch komplexen politisch-geschichtlichen Kontext auf schlichte Weise darlegt, en passant, weil es eine andere Geschichte in den Vordergrund stellt: Die Geschichte darüber, eine lieblose, kalte Mutter zu haben, die einen ein Leben lang spüren lässt, dass man ihrer Gnade wegen lebt.
  • Es ist die Geschichte vom Überleben, vom Aufstehen, Tag um Tag „in der unendlichen, eisigen Welt“, es geht um Ehe, Scheidung, erneute Ehe, Menschen und Geschehnisse, in einer Welt, in der man „die Tochter seiner Mutter“ ist – mal mit mehr mal mit weniger Kummer.
  • Es geht darum, 80 Jahre geduldig zu warten, bis man all dies aufschreiben kann.
  • Es geht um Diktaturen und darum, in und mit ihnen zu überleben.
  • Es geht darum, sein Schicksal anzunehmen, manchmal mit Mut, manchmal mit fatalistischer Haltung. Es geht aber auch darum, immer wieder, aufstehend, Widerstand zu leisten, im Kontext eines Regimes, in dem Helga Schubert von der Stasi überwacht wurde. Ihr wurde viel genommen. Uns beschenkt sie, heute dafür mit deutscher Literatur vom Allerfeinsten.
  • Es geht darum, sich so zu sehen, wie man ist, nicht wie man gerne sein möchte. Und es geht um Hoffnung und Trost, denn es ist immer jemand da, von dem man verstanden wird und Liebe erfährt. Helga Schubert spricht von der Gewissheit, dass es stets eine Lösung gibt, egal unter welchen Umständen man aufwächst. Und sie tut das ohne besserwisserisch zu sein, mit der Weisheit einer alten Frau.

„Alles gut“, so ihr letzter Satz.