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Zwischen Leidenschaft und Marktmechanik: Warum Übersetzungsqualität am Projektmanagement hängt

Seit mehr als 20 Jahren übersetze ich, und immer wieder höre ich die Frage: „Hat dieser Beruf in Zeiten von KI überhaupt noch eine Zukunft?“.

Das Übersetzen verändert sich radikaler als je zuvor: Großfusionen, maschinelle Übersetzung, Niedrigpreise – dabei sinkt gleichzeitig die Übersetzungsqualität, obwohl Kunden weiterhin hohe Preise für diese Dienstleistung bezahlen.

Wir leben in einer Zeit, in der Projektmanager großer Sprachdienstleister Übersetzern die banalsten Fragen stellen, die vor wenigen Jahren niemand gestellt hätte weil ein sprachliches Grundverständnis bzw. Mindest-Know-how noch selbstverständlich war. Heute fehlt das oft. Und genau das ist der Schlüssel, warum Übersetzungsqualität in vielen Projekten kippt.

1. Marktumfeld: Konsolidierung und Preisdruck

Die großen Sprachdienstleister wachsen heute kaum noch organisch, sondern vor allem durch Fusionen und Zukäufe. Private-Equity-Investoren treiben diese Entwicklung, weil sie Skaleneffekte und Automatisierung suchen. Gleichzeitig hat die massive Verbreitung von maschineller Übersetzung mit Post-Editing (MTPE) dazu geführt, dass Übersetzer unter starkem Preisdruck stehen. Das Paradoxe: Großkunden zahlen nach wie vor gute Preise – aber die Einsparungen landen nicht bei den Übersetzern, sondern in der Marge. Die Lieferkette wird ausgedünnt und die Übersetzungsqualität fällt zurück, weil Know-how und Sorgfalt nicht mehr ausreichend eingepreist werden.

MTPE-Durchdringung 2022-2024 (Quelle: Nimdzi 2024; GTS 2025; Werte vereinfacht dargestellt)

2. Die Rolle des Projektmanagements

Übersetzungsqualität steht und fällt mit dem Projektmanagement. Auch wenn Unternehmen weiter auf Niedrigpreise setzen, gibt es nur zwei Möglichkeiten:

Entweder man engagiert wirklich hochqualifizierte Projektmanager mit Sprach- und Fachverständnis oder man bietet erfahrenen Übersetzern faire Preise. Beides zusammen billig einzukaufen funktioniert langfristig nicht. Und aktuell sehe ich: Weder noch.

Viele Projektmanager arbeiten heute mit Kennzahlen wie „Durchsatz pro Stunde“ oder „Cost per Word“, haben aber kaum noch Schulung in linguistischer Beurteilung. Sie müssen komplexe Workflows steuern, wissen aber nicht, welche Fehler gravierend sind und welche tolerierbar. Das schwächt die ganze Kette und sorgt dafür, dass Übersetzer nicht als Experten wahrgenommen, sondern nur als „Ressource“ behandelt werden.

Marge vs. Qualitätspuffer (Quelle: Slator 2025; Nimdzi 2025; Werte exemplarisch dargestellt)

3. KI als Werkzeug – nicht als Ausrede

Ich arbeite inzwischen seit etlichen Jahren mit maschinen- und KI-gestützten Übersetzungen. Für mich ist das ein spannendes Feld, weil ich als Mensch der „wahre Experte“ bin, der die Rohübersetzung prüft, verbessert und freigibt. Das kann hervorragend funktionieren – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Problematisch wird es, wenn KI nur als Ausrede genutzt wird, um Raten zu drücken und Übersetzungsqualität auf „Good Enough“ zu trimmen. In Wahrheit weiß in vielen Firmen niemand genau, wie KI-Ausgaben bewertet werden sollen. „Wir nutzen jetzt KI“ ersetzt keine Qualitätsstrategie.

4. Wohin die Reise geht und was wir tun können

Die Konsolidierung und der Kostendruck werden nicht verschwinden. Aber wir können den Trend konstruktiv gestalten, indem wir:

Projektmanager stärken: Unternehmen müssen Projektmanager gezielt ausbilden. Wer Übersetzungsqualität steuern will, braucht Grundwissen über Sprachen, Fachgebiete und typische Fehlerarten.

Übersetzer als Partner sehen: Statt nur an Wortpreisen zu drehen, sollten Sprachdienstleister Expertise klar kommunizieren, und Kunden erklären, warum Qualität entsprechend kostet.

KI intelligent einsetzen: Mit der richtigen Rollenverteilung (KI liefert Rohfassung, Menschen sichern Qualität) können Effizienz und Niveau vereint werden.

Projektmanagement als Fundament für Übersetzungsqualität (Quelle: Nimdzi 2024; vereinfachte Darstellung)

Schlussgedanke

Ich will nicht an Strukturen festhalten, die keinen Mehrwert haben. Die Zukunft des Übersetzens entscheidet sich nicht an einem einzelnen Faktor, sondern an drei Säulen: qualifizierte Projektmanager, faire Einbindung erfahrener Übersetzer und ein intelligenter Einsatz von KI. Nur wenn diese drei Elemente zusammenspielen, entsteht echter Mehrwert, und nur dann bleibt Übersetzungsqualität ein Wettbewerbsvorteil.

Quellen

• Nimdzi Insights. (2024). The MTPE Efficiency Gap: Productivity and Pricing in Machine Translation Post-Editing.

• GTS Translation Blog. (2025). State of MTPE 2025: Pricing and Quality in the Age of AI.

• Slator. (2025). Slator Language Service Provider Index (LSPI) 2025: Market Growth, M&A and Trends.

• Nimdzi Insights. (2025). The Nimdzi 100: Ranking of the Top 100 LSPs by Revenue.

• Nimdzi Insights. (2024). Ready, Set, AI: Foundations for AI-Driven Localization Workflows.

• Nimdzi Insights. (2024). TMS vs. BMS: The Backbone of Translation Project Management.

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